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Anmerkung zu:OVG Lüneburg 1. Senat, Beschluss vom 11.03.2025 - 1 OB 12/25
Autor:Dr. Georg Blasberg, Vors. RiVG
Erscheinungsdatum:03.07.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 121 VwGO, Art 19 GG, § 65 VwGO, § 146 VwGO
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 7/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Blasberg, jurisPR-ÖffBauR 7/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Beiladung des Nachbarn bei Klage gegen bauaufsichtliches Einschreiten



Leitsätze

1. Der Senat lässt offen, ob der Grundstücksnachbar zu einem Hauptsacheverfahren des Bauherrn gegen eine auf Verletzung drittschützender Vorschriften gestützte bauaufsichtliche Verfügung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen ist.
2. Auch wenn in der vorgenannten Konstellation nur die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung vorlägen, wäre diese jedenfalls in der Regel angezeigt, wenn das bauaufsichtliche Einschreiten auf Veranlassung des Nachbarn zurückgeht und auf diesen schützende Normen gestützt wird (Abgrenzung zum Senatsbeschl. v. 06.09.2017 - 1 OB 115/17 - BauR 2017, 2168 = BRS 85 Nr 198 Rn. 10).



A.
Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen ist der Nachbar, der erfolgreich ein bauaufsichtliches Einschreiten angeregt hat, im gerichtlichen Verfahren des Adressaten gegen die entsprechende Ordnungsverfügung beizuladen? Handelt es sich dabei um eine notwendige oder um eine einfache Beiladung (§ 65 Abs. 2 bzw. Abs. 1 VwGO)?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand der Entscheidung ist eine Beschwerdeentscheidung auf die Ablehnung eines solchen Beiladungsantrags. Mit dem in der Hauptsache streitigen Bescheid gab der Beklagte auf Anregung der Beschwerdeführerin den Klägern wegen angenommener Abstandsflächenverstöße die Einstellung von Bauarbeiten zur Errichtung einer Garage an der Grenze zwischen dem Grundstück der Kläger und der Beschwerdeführerin auf.
Das Verwaltungsgericht hat den Beiladungsantrag der Beschwerdeführerin abgelehnt. Streitgegenständlich sei die Verpflichtung der Kläger, der Verfügung des Beklagten nachzukommen. An diesem Rechtsverhältnis seien die Kläger als Grundstücksnachbarn regelmäßig nicht in einer Weise beteiligt, die ihre Beiladung gebiete; das Verfahren diene nicht einer verbindlichen Feststellung, ob sich die Baumaßnahme auch in Ansehung von Rechtspositionen des Nachbarn als rechtmäßig erweise. Selbst dann, wenn die Anfechtungsklage der Kläger Erfolg hätte, würden dadurch „Rechte“ der Beiladungsbewerberin nicht im eigentlichen Sinne verbindlich und unmittelbar geregelt. Dass die Verfügung auf die Verletzung einer nachbarschützenden Norm abstelle, rechtfertige eine Beiladung nicht. Es stehe der Beschwerdeführerin weiter offen, ihre subjektiv-öffentlichen Rechte außerhalb des vorliegenden Verfahrens geltend zu machen.
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das OVG Lüneburg diese unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses beigeladen.
Der Senat erwägt zunächst die Frage einer notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO. Insoweit sei für ein Hauptsacheverfahren in den Blick zu nehmen, dass in der Aufhebung eines Verwaltungsakts – anders als in der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein vorzunehmenden Prognose der Erfolgsaussichten – die an der Rechtskraft teilhabende Feststellung enthalten sei, dass ein Verwaltungsakt dieser Art den Kläger in seinen Rechten verletzt. Das habe zur Folge, dass § 121 VwGO den Beklagten hindere, bei – mit Blick auf die tragenden Entscheidungsgründe – unveränderter Sach- und Rechtslage einen gleichartigen Verwaltungsakt erneut zu erlassen. Würde also etwa eine Baueinstellungsverfügung mit der Begründung aufgehoben werden, dass eine Grenzabstandsunterschreitung nicht vorliege, könne dies bedeuten, dass in einem nachfolgenden Verfahren, in dem der Nachbar versuche, einen vermeintlichen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten selbst durchzusetzen, zwar mangels Beiladung nicht dem Nachbarn gegenüber, wohl aber zwischen Bauaufsichtsbehörde und Einschreitensadressaten das Nichtbestehen des das Einschreiten ermöglichenden Verstoßes rechtskräftig feststünde. Dieser Umstand könne bereits im Verfahren des Verfügungsadressaten gegen die Erlassbehörde eine Beiladung erfordern.
Vorliegend könne die Frage jedoch offenbleiben. Gehe man nämlich davon aus, dass die Verneinung einer Grenzabstandsverletzung im ersten Prozess noch keine Entscheidung über einen auf dieselbe Verletzung gestützten Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten beinhalte, mit der Folge, dass lediglich eine einfache Beiladung (§ 65 Abs. 1 VwGO) in Betracht komme, sei jedenfalls diese angezeigt. Eine Beiladung des Nachbarn sei regelmäßig dann vorzunehmen, wenn das bauaufsichtliche Einschreiten, gegen das der Kläger sich wehrt, auf Veranlassung jenes Nachbarn zurückgehe und auf nachbarschützende Normen gestützt werde. Werde ohne Mitwirkungsmöglichkeit des Nachbarn, der durch seine Initiative ein aktives Interesse an diesem deutlich gemacht habe, das Anfechtungsklageverfahren des Bauherrn zu seinen Lasten entschieden, so liege es nicht fern, dass der Nachbar anschließend versuche, seine Interessen über eine Verpflichtungsklage durchzusetzen. Schon die realistische Möglichkeit einer solchen Doppelung des gerichtlichen Arbeitsaufwands entspreche im Regelfall nicht den Grundsätzen der Prozessökonomie.


C.
Kontext der Entscheidung
Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht Dritte, deren rechtliche Interessen durch die in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu treffende Entscheidung berührt werden, beiladen. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen (notwendige Beiladung), vgl. § 65 Abs. 2 VwGO.
Notwendig beizuladen ist, wenn die begehrte Sachentscheidung des Gerichts nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte der Dritten eingegriffen wird, d.h. ihre Rechte gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.02.2025 - 11 A 19/24 Rn. 3). Nach dem Sinn und Zweck des § 65 Abs. 2 VwGO kommt eine notwendige Beiladung nur dann in Betracht, wenn der klägerische Antrag und damit das Klageziel den Dritten in negativer Weise betrifft. Kann sich dagegen ein Obsiegen des Klägers allenfalls zugunsten des Dritten auswirken, so mag unter Umständen eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO angezeigt sein; ein Fall der notwendigen Beiladung liegt nicht vor. Nur wenn das Ergebnis des Rechtsstreits für einen Dritten möglicherweise belastend sein kann, weil es seine Rechtsstellung in irgendeiner Weise beeinträchtigt, besteht vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG die Notwendigkeit, den Dritten zwingend am Verfahren zu beteiligen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.04.2016 - 4 B 860/15 Rn. 8 f.).
Liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO nicht vor, ist der Beiladungsbewerber darauf verwiesen, eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO zu erreichen. Voraussetzung für die Beiladung ist, dass (bereits bestehende) rechtliche Interessen des Beiladungsbewerbers durch die gerichtliche Entscheidung berührt werden, bloß ideelle, kulturelle oder wirtschaftliche Interessen reichen nicht aus (vgl. Ulrich in: Ory/Weth, jurisPK-ERV, 2. Aufl., § 65 VwGO Rn. 10). Für die einfache Beiladung reicht die Möglichkeit aus, dass der Inhalt der Entscheidung auf rechtliche Interessen des Beizuladenden einwirken kann. Es genügt mithin, dass sich eine Rechtsposition des Beizuladenden durch das Unterliegen eines der Beteiligten verbessern oder verschlechtern könnte (BVerwG, Urt. v. 16.09.1981 - 8 C 1/81 Rn. 10). Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Streitgegenstand die Bebauung und Nutzung eines Grundstücks ist, die sich auf sein eigenes Grundstück auswirken kann (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.05.2025 - 10 E 183/25 Rn. 5). Ermessensleitend sind im Rahmen der dann zu treffenden Entscheidung über eine einfache Beiladung im Wesentlichen Gesichtspunkte der Prozessökonomie. Insoweit ist insbesondere dem Rechnung zu tragen, ob die fehlende Erstreckung der Rechtskraft einer Entscheidung zu Erschwernissen und Unzuträglichkeiten in späteren Rechtsstreitigkeiten führen könnte und ob die Beiladung erforderlich ist, um den Streitstoff umfassend zu klären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.11.2021 - 4 A 1/21 Rn. 3).
Vor diesem Hintergrund konnte der Senat die Frage, ob der Fall einer notwendigen Beiladung hier gegeben war (vgl. für einen ähnlichen Fall jüngst ablehnend OVG Münster, Beschl. v. 16.05.2025 - 10 E 183/25 Rn. 3), offenlassen und werden prozessökonomische Erwägungen in der hier vorliegenden – typischen – Fallkonstellation regelmäßig eine Beiladung veranlassen: Mit der Beiladung kann unter Umständen ein etwaig nachfolgender Prozess des Beiladungsbewerbers auf bauordnungsrechtliches Einschreiten der Behörde gegen den Nachbarn vermieden werden. Der Beiladungsbewerber wird zu einer unstreitigen Beendigung des Verfahrens im Sinne einer endgültigen Befriedung des konkreten Nachbarschaftsverhältnisses entscheidend beitragen können. Die Aussicht auf eine derartige gütliche Einigung besteht grundsätzlich auch dann noch, wenn eine solche im Verwaltungsverfahren gescheitert sein sollte. Vor diesem Hintergrund treten die gegen die Beiladung sprechenden Erwägungen, wie etwa die ggf. schwierigere Handhabung des Verfahrens durch das Hinzutreten eines weiteren Beteiligten, regelmäßig zurück (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 04.02.2013 - 10 E 1265/12 Rn. 10).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Ein Nachbar, der erfolgreich ein bauaufsichtliches Einschreiten der zuständigen Behörde zum Schutz eigener Rechte ausgelöst hat, wird häufig ein Interesse daran haben, an dem Prozess beteiligt zu werden, in dem sich der Adressat der behördlichen Maßnahmen gegen diese wehrt. Unter Verweis auf die hier vorgestellte Entscheidung des OVG Lüneburg dürften die Erfolgsaussichten eines dahin gehenden Beiladungsantrages jedenfalls in den Fällen, in denen das bauaufsichtliche Einschreiten, gegen das der Kläger sich wehrt, auf Veranlassung des Beiladungsbewerbers zurückgeht und auf diesen schützende Normen gestützt wurde, im Regelfall hoch sein (vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 16.05.2025 - 10 E 183/25 Rn. 9; OVG Münster, Beschl. v. 04.02.2013 - 10 E 1265/12 Rn. 10; VGH Kassel, Beschl. v. 29.08.1986 - 4 TH 1729/86; zurückhaltender VGH München, Beschl. v. 11.06.2018 - 9 C 18.1041 Rn. 5).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Gemäß § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist die Beiladung unanfechtbar. Demgegenüber ist ein einen Beiladungsantrag ablehnender Beschluss mit der Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO anfechtbar. Die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Beiladung trifft das Beschwerdegericht ebenfalls nach eigenem Ermessen, ohne auf die Nachprüfung des Ermessens der Vorinstanz beschränkt zu sein (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.05.2025 - 10 E 183/25 Rn. 7). Der Beiladungsbewerber hat insoweit also gewissermaßen zwei Chancen, eine (dann unanfechtbare) Ermessensausübung zu seinen Gunsten zu erreichen.



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