Zur Aufrechnung von verjährten Schadensersatzansprüchen gegen den KautionsrückzahlungsanspruchLeitsatz Eine von den Parteien im Wohnraummietvertrag getroffene Barkautionsabrede ist typischerweise dahin gehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache gemäß §§ 535, 280 Abs. 1 BGB, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehenden Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern soll. - A.
Problemstellung Häufig lässt sich der Vermieter viel Zeit mit der Abrechnung der Kaution, weil er wegen des Zustands der Mietsache bei Rückgabe noch Schadensersatzansprüche geltend machen will. Diese Ansprüche verjähren sechs Monate nach Rückgabe (§ 548 Abs. 1 BGB). Es ist fraglich, ob der Vermieter sich in allen Fällen darauf berufen kann, dass ihm die Aufrechnung trotz Verjährung seiner Ansprüche offenbleibt. § 215 Alt. 1 BGB verlangt dafür, dass jedenfalls die Aufrechnungslage schon vor Verjährungseintritt bestand, dass sich also schon in unverjährter Zeit gleichartige Ansprüche gegenüberstanden (§ 387 BGB). Der BGH hatte sich jetzt damit zu befassen, wie weit § 215 BGB reicht, wenn für den Anspruch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB – Geldersatz statt Naturalrestitution – greift.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin verlangte als Erbin der Mieterin Rückzahlung der Barkaution. Der beklagte Vermieter erklärte die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigungen der Mietsache. Soweit beweisbar erfolgte diese Aufrechnung aber erst mehr als sechs Monate nach Rückgabe der Wohnung. Amts- und Landgericht verurteilten den Beklagten zur Zahlung, ohne den Bestand der Aufrechnungsforderung zu klären. Die Aufrechnung sei gemäß § 390 BGB schon wegen der Verjährung der Schadensersatzforderung nicht mehr möglich. Die erweiterte Aufrechnungsbefugnis nach § 215 Alt. 1 BGB greife nicht ein, weil es in der Verjährungsfrist nicht einmal eine Aufrechnungslage gegeben habe. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen. Dem Vermieter stehe nach seinem Vorbringen eine zur Aufrechnung geeignete Schadensersatzforderung zu. Die erforderliche Aufrechnungslage gemäß § 387 BGB sei zu bejahen. Mit der Kautionsabrechnung verlange der Vermieter schlüssig Geld statt Naturalrestitution. Auch die Mieterforderung sei auf Geld gerichtet, so dass die Forderungen einander gleichartig seien. Dem Vermieter sei die Aufrechnung nicht allein deswegen zu versagen, weil seine Schadensersatzforderung nach § 548 BGB verjährt sei. Zwar hindere § 390 BGB die Aufrechnung mit einer einredebehafteten Forderung. Die Verjährung begründe eine solche Einrede. § 215 Alt. 1 BGB lasse die Aufrechnung trotz Verjährung auch nur zu, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen sei, in dem erstmals habe aufgerechnet werden können. Es müsse also im Grundsatz immerhin eine Aufrechnungslage vor Verjährungseintritt vorhanden gewesen sein (Verweis auf BGH, Urt. v. 19.05.2006 - V ZR 40/05 Rn. 9 u.a. - NJW 2006, 2773). Die Aufrechnungslage ihrerseits verlange die Gleichartigkeit der Ansprüche (§ 387 BGB) – und daran fehle es, solange der Anspruch des Mieters auf Geldzahlung, der des Vermieters aber auf Naturalrestitution gerichtet sei. Damit kommt der BGH zur Anwendung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Geschädigte könne vorrangig nur Naturalrestitution verlangen, erst mit Ausübung seiner Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB könne er stattdessen Schadensersatz in Geld verlangen. In allen diesen Punkten stimmte der BGH dem Berufungsurteil also zu. Der BGH ließ die Aufrechnung trotz dieser Herleitung durchgreifen. Die Kautionsabrede in einem Mietvertrag sei nämlich regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern solle. Dem liege die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass ein Schuldner, dem ein Gegenanspruch zustehe, kraft dessen er die Inanspruchnahme durch den Gläubiger erfolgreich abwehren kann, sich als hinreichend gesichert ansehen darf und durch die Verjährungsregeln nicht zur frühzeitigen Durchsetzung seiner Forderung im Wege der Aufrechnung oder Klageerhebung gedrängt werden solle (Verweis auf BGH, Urt. v. 05.11.2015 - VII ZR 144/14 - NJW 2016, 52 u.a.). Im Mietverhältnis sei die Ausübung der Ersetzungsbefugnis typischerweise zu erwarten. Der Vermieter wolle nämlich die Schadenbeseitigung in eigener Regie vornehmen, um eine möglichst zeitnahe und fachgerechte Durchführung zu gewährleisten. Er sehe sich durch die Kaution insoweit als hinreichend gesichert an, weil ihm jederzeit und ohne weitere Vorgaben die Ausübung der Ersetzungsbefugnis möglich sei. Dem Mieter sei das regelmäßig auch bewusst.
- C.
Kontext der Entscheidung Zur Systematik des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB bewegt sich die Entscheidung auf der Linie der Rechtsprechung und des Schrifttums (vgl. KG, Beschl. v. 02.12.2019 - 8 U 104/17 - ZMR 2020, 394, 560; Zehelein, NZM 2022, 937). Bei § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB handelt es sich um eine Ersetzungsbefugnis (zuletzt BGH, Urt. v. 19.04.2023 - VIII ZR 280/21 - NZM 2023, 498, 500; BGH, Urt. v. 08.07.2022 - V ZR 207/21 - NJW-RR 2022, 1598, 1599 m.w.N.; grundlegend bereits BGH, Urt. v. 08.02.1952 - V ZR 122/50 - NJW 1952, 619, 620; Zehelein, NZM 2022, 937, 939; Oetker in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 249 BGB Rn. 357). Sie wird durch Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung ausgeübt (BGH, Urt. v. 29.01.2019 - VI ZR 481/17 - NJW 2019, 1669, 1671). Zur Auslegung des § 215 BGB im Zusammenhang mit dieser Ersetzungsbefugnis entsprach die Berufungsentscheidung der bis dahin herrschenden Meinung (KG, Beschl. v. 02.12.2019 - 8 U 104/17 - ZMR 2020, 394, 560; LG Lübeck, Urt. v. 28.03.2024 - 14 S 117/22 - ZMR 2024, 662; Zehelein, NZM 2022, 937; Streyl, WuM 2024, 241, 247; a.A. wohl nur Flatow in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 551 BGB Rn. 86). Hier entscheidet der BGH genau entgegengesetzt. Etwas unklar ist die Begründung, soweit der BGH die Kautionsabrede dahingehend auslegt, dass die Aufrechnung an einer gesetzlichen Vorschrift „nicht scheitern“ solle. Im Ergebnis erweitert der BGH wohl den Anwendungsbereich des § 215 Alt. 1 BGB kraft Parteiabrede. In diesem Punkt erscheint es zweifelhaft, wenn der BGH meint, der Vermieter übe „typischerweise“ seine Ersetzungsbefugnis aus, um die Reparatur schnell in Eigenregie durchführen zu können. In der Praxis ist es wohl ebenso häufig, dass Vermieter nach Wohnungsrückgabe gleichermaßen Renovierungen nach § 281 BGB und Reparaturen nach § 280 BGB verlangen, also gerade alle Arbeiten vom Mieter verlangen. Nach diesseitiger Auffassung ergibt sich die Anwendung des § 215 Alt. 1 BGB schon ohne eine vielleicht anfechtbare Auslegung der Kautionsabrede. Der Geldanspruch aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB besteht wie bei einer verhaltenen Forderung von Anfang an. Er ist zwar nicht erfüllbar, aber gleichwohl bereits fällig und damit i.S.d. § 387 BGB zur Aufrechnung geeignet. Für eine Ersetzungsbefugnis des Schuldners nach § 244 Abs. 1 BGB ist das auch so entschieden (Zahlung einer Fremdwährungsschuld im Inhalt – Ersetzung durch Zahlung der Inlandwährung, vgl. BGH, Urt. v. 07.04.1992 - X ZR 119/90 - WM 1993, 2011).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Für die Praxis ist die Entscheidung von erheblicher Bedeutung. Der Vermieter kann jetzt Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache auch nach Verjährungseintritt zur Aufrechnung stellen, und zwar auch dann, wenn er sich zuvor um die Frage Naturalrestitution oder Geldersatz mit dem Mieter nicht auseinandergesetzt hatte. Wichtig ist die Unterscheidung zu Ansprüchen aus § 281 BGB, also Schadensersatz wegen der Nichterfüllung vertraglicher Leistungspflichten. Das betrifft vor allem etwa geschuldete Schönheitsreparaturen. Hier entsteht jeglicher Anspruch erst in dem Moment, in dem der Vermieter eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, die dann auch noch fruchtlos abgelaufen ist. Mit einer bloßen Ersetzungsbefugnis hat das nichts zu tun. Der Vermieter, der in der Verjährungsfrist versäumt hat, Nacherfüllung nach § 281 BGB zu verlangen, wird mit der Aufrechnung auch weiterhin an den §§ 390, 387 BGB scheitern. Es ist – jedenfalls nach diesseitiger Einschätzung – nicht zu erwarten, dass der BGH die Kautionsabrede zusätzlich so auslegen wird, dass auch die Fristsetzung nach § 281 BGB noch nach Verjährungseintritt nachgeholt werden kann. Sofern die Ersetzung des Erfüllungsanspruchs durch den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung dazu führt, dass ein noch im Vollzug befindliches Vertragsprogramm abgebrochen wird, muss der Gläubiger sein Recht, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen, in einer angemessenen Frist ausüben, nachdem er von dieser Berechtigung Kenntnis erlangt hat (Ernst in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 281 BGB Rn. 114). Der Mieter muss nicht damit rechnen, dass er ein halbes Jahr nach Wohnungsrückgabe dazu aufgefordert wird, Schönheitsreparaturen durchzuführen.
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