Kein grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Voraussetzungen für die Beobachtung einer Partei durch das BfV und der Unterrichtung der ÖffentlichkeitOrientierungssatz zur Anmerkung Die Maßstäbe, anhand derer zu prüfen ist, ob Meinungsäußerungen im parteipolitischen Kontext als Ausdruck des Bestrebens eines Personenzusammenschlusses herangezogenen werden können, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, sind in der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt. Die bloße Kritik an Verfassungswerten reicht nicht als Anlass aus, um den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zu bejahen. Vielmehr müssen die Meinungsäußerungen Ausdruck eines Bestrebens sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20, 220 und BVerfG, Beschl. v. 24.05.2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63, 81 f.; BVerwG, Urt. v. 21.07.2010 - 6 C 22/09 Rn. 61 - BVerwGE 137, 275). - A.
Problemstellung Mit der Einstufung einer Gruppierung als „Verdachtsfall“ markiert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) das Überschreiten der Erhebungsschwelle des § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG. Ihm liegen dann nach seiner Einschätzung tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser Gruppierung vor. Dies eröffnet dem BfV grundsätzlich die Möglichkeit, von seinen Befugnissen zur gezielten Sammlung von Informationen nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG mit offenen Mitteln Gebrauch zu machen. Bei Vorliegen einer entsprechend verdichteten Tatsachengrundlage kann das BfV auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zur heimlichen Informationsbeschaffung arbeiten, § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, und die Öffentlichkeit über seine Einschätzung informieren, § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Gegenstand des Rechtsstreits waren im Wesentlichen die Fragen, ob die dem BfV vorliegende Erkenntnislage die Einstufung der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) als Verdachtsfall rechtfertigt und das BfV die Öffentlichkeit über diesen Umstand auch dann unterrichten darf, wenn das Beobachtungsobjekt eine politische Partei ist. Die AfD ist in beiden Tatsacheninstanzen unterlegen. Sowohl das VG Köln (Urt. v. 08.03.2022 - 13 K 207/20) als auch das OVG Münster (Urt. v. 13.05.2024 - 5 A 1216/22) haben bestätigt, dass nach den im maßgeblichen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Partei auf die Umsetzung eines völkisch-abstammungsmäßigen Gesellschaftskonzepts hinarbeite, das im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes und zum Demokratieprinzips stehe. Darüber dürfe das BfV auch die Öffentlichkeit unterrichten. Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde der AfD ist vor dem BVerwG ohne Erfolg geblieben.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das BVerwG prüft im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 133 Abs. 1 VwGO) nur die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO). Im vorliegenden Verfahren hatte die Klägerin eine Vielzahl solcher Rügen erhoben. Erkenntnisse zu potenziell verfassungsfeindlichen Bestrebungen finden sich nicht nur in verschriftlichen Programmen und Beschlüssen einer Organisation, sondern können sich auch aus Äußerungen ihrer Mitglieder ergeben. Damit ist die Frage nach der treffenden Deutung einer Meinungsäußerung und der Relevanz mehrdeutiger Aussagen für die Begründung eines Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen zentral. Auch bei der tatrichterlichen Würdigung der in der Erkenntnissammlung des BfV wiedergegebenen Äußerungen von Parteifunktionären und Parteimitgliedern der AfD kommt der grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, daher eine große Bedeutung zu. Die Beschwerde bezeichnete in diesem Kontext eine Vielzahl von Fragen als grundsätzlich bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Soweit diese Fragestellungen nicht ohnehin lediglich auf der Ebene der tatrichterlichen Würdigung zu verorten waren, hat sie das BVerwG als in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt betrachtet (ab Rn. 10 ff.). Die bloße Kritik an Verfassungswerten reicht nicht als Anlass aus, um den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zu bejahen. Vielmehr müssen die Inhalte von Meinungsäußerungen Ausdruck eines Bestrebens sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Meinungsäußerungen haben aber nicht erst dann Relevanz für die Beurteilung der Verfassungsfeindlichkeit einer Bestrebung, wenn sich ihr Inhalt als gesetzeswidrig oder als Verstoß gegen Normen des Strafrechts darstellt. Welche Bedeutung einer Meinungsäußerung letztlich bei der Beantwortung der Frage zukommt, ob verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, beurteilt sich nicht anhand der (abstrakten) Interpretierbarkeit und Bewertung der herangezogenen Meinungsäußerungen, sondern auf der Grundlage ihrer konkreten Verwendung und ihrem Stellenwert in der Gesamtpolitik der betreffenden Organisation. Insbesondere hebt der Beschluss hervor, dass eine – nach Auslegung einer Äußerung durch den Tatrichter fortbestehende – Mehrdeutigkeit einer in einer Auslegungsvariante verfassungsschutzrelevanten Äußerung nicht geeignet ist, als verdachtsbegründend herangezogen zu werden. Keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf erkennt das Revisionsgericht auch für die einen weiteren Schwerpunkt des Vorbringens bildenden Fragen, welches Gewicht einzelne verdachtsbegründende Aussagen in einer Gesamtschau der einer Partei zurechenbaren Äußerungen haben müssen und welche Entlastungsmöglichkeiten einer Partei offenstehen (Rn. 35 ff.). Für die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, welche Folgerungen sich aus der Gefahr einer mangelnden „Staats- und Quellenfreiheit“ des Erkenntnismaterials ergeben könnten, hat das BVerwG auf die mittlerweile ausdifferenzierten Vorgaben aus NPD-Rechtsprechung des BVerfG verwiesen (Rn. 50 ff.). Diesen habe das Berufungsurteil jedenfalls in einem selbstständig tragenden Begründungsansatz Rechnung getragen. Schließlich hat es das BVerwG abgelehnt, erneut der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärten Frage nachzugehen, ob die in § 16 Abs. 1 BVerfSchG eröffnete Befugnis des BfV zur Unterrichtung der Öffentlichkeit (sog. Verdachtsberichterstattung) im Einklang mit der privilegierten Stellung einer Partei aus Art. 21 GG zu vereinbaren ist (Rn. 40 ff.). Erfolglos blieben auch die von der Beschwerde geltend gemachten Divergenzen (Rn. 66 ff.) und zahlreiche Verfahrensrügen (ab Rn. 82).
- C.
Kontext der Entscheidung Vor den Verwaltungsgerichten sind mittlerweile auch Klagen gegen die Einstufung der AfD oder einzelner ihrer Landesverbände als gesichert verfassungsfeindliche Bestrebung anhängig. Diese Kategorie ist im Verfassungsschutzrecht nicht als eine eigenständige, Schwelle ausgestaltet, sondern beschreibt (lediglich) eine weiter gehende Verdichtung der Erkenntnislage des BfV. Die Messlatte für die gerichtliche Überzeugungsbildung über die Rechtmäßigkeit der Bekanntgabe einer solchen Einschätzung liegt damit gleichfalls deutlich höher. Berichtet das BfV gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG über seine interne Einstufung einer Organisation als „gesichert extremistisch“, so müssen die gesammelten Erkenntnisse den Schluss rechtfertigten, dass das Beobachtungsobjekt tatsächlich Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Im Parallelverfahren zur Parteigliederung des sog. „Flügels“ spielte diese Frage bereits eine Rolle (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.05.2025 - 6 B 21.24 Rn. 10 ff.)
- D.
Auswirkungen für die Praxis Auch in künftigen Verfahren mit Bezügen zum Verfassungsschutzrecht dürfte die Rechtsprechung des BVerfG zu Fragen der „Staats- und Quellenfreiheit“ des Erkenntnismaterials und den prozessrechtlichen Vorkehrungen zum Schutz des Grundsatzes des fairen Verfahrens eine Rolle spielen. Hier ist stets zwischen den spezifisch im Parteiverbotsverfahren vor dem BVerfG relevanten Maßgaben, allgemeinen Beweiswürdigungsfragen und solchen Ableitungen aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu differenzieren, die auch in anderen Fallgestaltungen zu einem kritischen Hinterfragen der Quellenlage und prozessualen Schutzvorkehrungen führen müssen (vgl. näher Rn. 53 ff., 104 ff.).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Besonderes Augenmerk widmete das Beschwerdevorbringen dem absoluten Revisionsgrund eines Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter und machte unter diesem Aspekt zahlreiche Verfahrensverstöße geltend (Rn. 123 ff.). Hier bietet der Beschluss des BVerwG reichlich Anschauungsmaterial zum Umgang mit Befangenheitsanträgen. Auch die Frage, wie mit Meinungsäußerungen eines (hier ehrenamtlichen) Richters in den sozialen Medien umzugehen ist, falls sie einen Bezug zum Gegenstand des Verfahrens aufweisen, wird thematisiert (Rn. 143 ff.). Das bloße „Liken“ einzelner Posts Dritter, die sich kritisch mit politischen Forderungen der betroffenen Partei befassen, bot nach der Auffassung des BVerwG noch keinen Anlass, bei vernünftiger Würdigung aller Umstände objektiv Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO hervorzurufen.
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