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Anmerkung zu:BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 11.03.2025 - 9 B 59/24
Autor:Prof. Dr. Ulrike Bick, Vors. Ri'inBVerwG
Erscheinungsdatum:22.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:12016E267, EURL 52/2014, EURL 92/2011
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 8/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Bick, jurisPR-BVerwG 8/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich der Planfeststellung für die Kreisstraße N 4 (Frankenschnellweg) - Umsetzung von Unionsrecht ins nationale Recht



Leitsatz

Zur Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 124 S. 1).



A.
Problemstellung
Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft Fragen der Umsetzung von Europarecht (hier: der RL 2014/52/EU, mit der die UVP-Richtlinie 2011/92/EU geändert wurde) ins nationale Recht (hier: in das bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz). Konkret geht es um die in Art. 3 Abs. 2 der RL 2014/52/EU vorgesehene Übergangsregelung, die folgenden Wortlaut hat:
„Projekte unterliegen den Verpflichtungen gemäß Artikel 3 und den Artikeln 5 bis 11 der Richtlinie 2011/92/EU in der Fassung vor ihrer Änderung durch diese Richtlinie, wenn vor dem 16.05.2017
a) das Verfahren in Bezug auf die Stellungnahme gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2011/92/EU eingeleitet wurde
oder
b) die Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 2011/92/EU vorgelegt wurden.“
Diese Übergangsregelung hat der bayerische Landesgesetzgeber inhaltlich in Art. 96a Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG übernommen; auch hier ist als Stichtag für die Anwendung des neuen Rechts der 16.05.2017 vorgesehen.
Die Beschwerde warf hierzu drei Fragen als grundsätzlich bedeutsam auf. Das BVerwG lehnte die Zulassung der Revision ab.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Als grundsätzlich bedeutsam warf die Beschwerde die folgenden drei Fragen auf,
1. ob der vom EuGH für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften entwickelten Maxime des „effet utile“ bereits dann bei der gesetzlichen Umsetzung Rechnung getragen worden ist, wenn die nationale verfahrensrechtliche Übergangsvorschrift der europarechtlichen Regelung vollständig nachgebildet ist,
2. ob es im Rahmen der Anwendung der unionsrechtlichen Maxime des „effet utile“ zulässig ist, eine verfahrensrechtliche Stichtagsregelung hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der Anwendung eines bisherigen Rechtszustands und eines neuen zukünftigen Rechtsrahmens dahin gehend konkretisierend wirksam zu machen, dass die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zum festgelegten Stichtag konkretisierend durch einen Zeitrahmen gerechnet ab dem Stichtag bestimmt wird, um die praktische Wirksamkeit des jeweiligen Rechts zur Geltung zu bringen, und
3. ob es im Rahmen der Anwendung der unionsrechtlichen Maxime des „effet utile“ rechtlich notwendig ist, eine verfahrensrechtliche Stichtagsregelung dahin gehend konkretisierend wirksam zu machen, dass die Anwendbarkeit des neuen Rechtsrahmens ergänzend zur Stichtagsregelung an den Stand der betreffenden Verfahren anknüpft.
Zur 1. Grundsatzrüge führte das BVerwG aus: „(D)ass nationale Regelungen, die das umzusetzende Unionsrecht inhaltlich vollumfänglich übernehmen, dessen praktische Wirksamkeit gewährleisten, ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV deshalb entbehrlich ist.“
Zu den beiden anderen Grundsatzrügen stellte das BVerwG klar, dass es der Beschwerde letztlich darum gehe, im Revisionsverfahren zu klären, ob Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU und das ihrer Umsetzung dienende nationale Recht durch eine noch zu erlassende Regelung oder im Wege der Auslegung dergestalt eingeschränkt werden müsse, dass ein Vorhabenträger nicht allein durch eine vorzeitige Einleitung des Scoping-Verfahrens die Fortgeltung des auslaufenden Rechts für sein Verfahren beliebig lange verlängern könne.
Auch diese Fragestellung rechtfertigt aber nach Auffassung des BVerwG keine Zulassung der Revision: Das Verständnis von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU als Stichtagsregelung sei klar; es bedürfe zur Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens (a). Die Frage, ob die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts eine die Stichtagsregelung ergänzende Auslegung erfordere, lasse sich imRevisionsverfahren voraussichtlich nicht klären (b).
a) Die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a RL 2014/52/EU lasse sich ohne Weiteres anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesauslegung beantworten.
Nach der Rechtsprechung des EuGH seien bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die mit der Regelung verfolgten Ziele zu berücksichtigen, wobei der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts bei der Berücksichtigung der Ziele besondere Bedeutung zukomme. Dies wird näher ausgeführt; im Zusammenhang mit Sinn und Zweck der Regelung verweist das BVerwG auf den Erwägungsgrund 39 der RL 2014/52/EU, der betont, dass die Festlegung von Übergangsregelungen aus Gründen „der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit“ geboten sind, „um einen möglichst reibungslosen Übergang von der in der Richtlinie 2011/92/EU festgelegten Regelung zu der neuen Regelung (…) sicherzustellen.“ Das BVerwG hält abschließend fest, dass die Übergangsregelung verhindere, dass bereits eingeleitete Verfahrensschritte auf Grund der geänderten Rechtslage von neuem begonnen oder wiederholt werden müssen, wenn sie bei Eintritt der Rechtsänderung bereits abgeschlossen waren.
b) Auch soweit der Kläger mit den beiden letzten Grundsatzrügen die Frage der Notwendigkeit einer ergänzenden Regelung oder einer entsprechenden Auslegung aufgeworfen hatte, verneinte das BVerwG eine Zulassung der Revision. Der Kläger hatte insoweit die Befürchtung geäußert, ohne eine solche Ergänzung oder Auslegung könne durch eine frühzeitige Einleitung eines Scoping-Verfahrens die Neuregelung unterlaufen werden.
Allein diese Befürchtung reichte dem BVerwG aber nicht aus. Es wies darauf hin, dass eine Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht geklärt werden könne, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden seien. So liege der Fall hier. Denn Tatsachen, die erkennen ließen, dass die Stichtagsregelung hier zu einem solchen Zweck missbraucht worden sein könnte, habe das Berufungsgericht nicht festgestellt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen fehlten trotz des Zeitraums von mehr als dreieinhalb Jahren, der zwischen dem Scoping-Termin im Juli 2015 und der Vorlage der im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung einzureichenden Unterlagen im Februar 2019 liege, Anhaltspunkte dafür, dass der Scoping-Termin durchgeführt wurde, um die geänderten Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterlaufen (wird näher ausgeführt).


C.
Kontext der Entscheidung
Der Beschluss greift Bekanntes zum Europarecht auf:
Der nationale Gesetzgeber macht nichts falsch, wenn er umzusetzendes Unionsrecht inhaltlich vollumfänglich übernimmt. Eine solche 1:1 Umsetzung ist im Übrigen die absolute Regel. So wurden z.B. in knapp drei Jahren (zwischen dem 08.12.2021 und 18.10.2023) 50 EU-Richtlinien 1:1 umgesetzt und nur bei zwei Richtlinien (zum Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Whistleblowing) wurde über die EU-Regelung hinausgegangen (vgl. BT-Plenaprotokoll 20/130, S. 16319B auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage).
Europarechtliche Vorschriften werden ähnlich wie unser nationales Recht ausgelegt. Zu beachten sind Wortlaut, Kontext, Historie sowie die mit der Regelung verfolgten Ziele. Es bestehen allerdings auch Besonderheiten. So wird bereits im Beschluss erwähnt, dass der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts bei der Berücksichtigung der Ziele besondere Bedeutung zukommt. Auch ergeben sich die Ziele bei Richtlinien in der Regel aus den Erwägungsgründen, die unsere nationalen Gesetze nicht kennen. Als weitere Besonderheiten der Auslegung von EU-Recht sind zu nennen: Beachtung der anderen Sprachfassungen und Berücksichtigung der Autonomie des Europarechts bei der Wortlautlauslegung (die Bedeutung europarechtlicher Begriffe ist nicht zwingend mit der der nationalen Begriffe identisch) sowie das Gebot der primärrechtskonformen Auslegung.
Darüber hinaus veranschaulicht der Beschluss eine der zahlreichen Hürden im Zulassungsrecht: Die Klärungsfähigkeit einer als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage fehlt, wenn Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden sind (st.Rspr., vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 02.02.2011 - 6 B 37/10 Rn. 11 und Leitsatz).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Beschluss ist ein „Standardbeschluss“; er enthält nichts Neues.



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