juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 08.07.2025 - VI ZR 303/23
Autor:Dr. Peter Itzel, Vors. RiOLG a.D.
Erscheinungsdatum:31.10.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 839 BGB, Art 34 GG, § 199 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 22/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Itzel, jurisPR-BGHZivilR 22/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Regressforderungen der öffentlichen Hand - Verjährungsbeginn



Leitsätze

1. Bei Behörden und öffentlichen Körperschaften beginnt die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst dann zu laufen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
2. Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig - nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bezüglich der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unerheblich.



A.
Problemstellung
Gerade bei Fragen der Verjährung von Ansprüchen kommt es oft auf den Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände an (§ 199 Abs. 1 BGB). Dies dürfte bei Ersatzansprüchen gegen Private hinsichtlich der Kenntnis von Schaden und Ersatzpflichtigem regelmäßig unproblematisch sein. Handelt es sich allerdings um Ersatzansprüche gegen die öffentliche Hand (insbesondere Amtshaftungsansprüche aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG), so ist oft schon die Person des Ersatzpflichtigen (u.a. wegen der Haftungsüberleitung) für den Geschädigten nicht problemfrei zu bestimmen.
Im Regressfall kann die öffentliche Hand nach einem schädigenden Ereignis (z.B. Verletzung eines Beamten) Rückgriff für eigene schadensbedingte Aufwendungen (Krankenkosten, Besoldung etc.) gegen den Schädiger nehmen. Hier ist nun problematisch, wann die Verjährung dieser Ansprüche beginnt, auf wessen Kenntnis abzustellen ist. Dies gilt vor allem in den Fällen, in denen öffentliche Körperschaften – wie zumeist – organisatorisch getrennte Verwaltungsbereiche für die Ersatzleistungen (für den Geschädigten) – Leistungsabteilung – und für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche – Regressabteilung – haben. Für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ist damit zu entscheiden, ob auf den Kenntnisstand der Leistungs-, Beihilfestelle oder auf den der Regressabteilung der verfügungsberechtigten Behörde abzustellen ist. Werden die Aufgaben der Schadensbearbeitung und -abwicklung nun noch – wie vorliegend in Bayern – verschiedenen Behörden in unterschiedlichen Ressorts innerhalb der Landesverwaltung zugewiesen, so sind Informationsbrüche und -defizite eigentlich vorprogrammiert.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger (Freistaat Bayern) nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht seines Polizeibeamten L. auf Schadensersatz in Anspruch. L. erlitt 2011 bei einem Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grund nach außer Streit. 2017 forderte der Kläger die Beklagte zu 3) (Haftpflichtversicherer) zur Erstattung von Heilbehandlungskosten, geleisteten Dienstbezügen, Beihilfen u.a. auf. Die Beklagten erhoben die Einrede der Verjährung.
Das Landgericht hat der 2018 erhobenen Klage stattgegeben. Das OLG hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die zugelassene Revision führte unter Zurückverweisung in die Instanz zur Aufhebung dieses Urteils.
Der BGH stellt für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist darauf ab, wann der „zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde“ Kenntnis von Schaden und Verantwortlichem erlangt hat oder hätte i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erlangen müssen. Dabei geht der Senat davon aus, dass verfügungsbefugt nur die Behörde ist, der die Entscheidungskompetenz über die zivilrechtliche Verfolgung von Regress-, Schadensersatzansprüchen zugewiesen ist. Damit kommt es für den Beginn des Laufs der Verjährungsfristen ausschließlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung und nicht auf den der Leistungsabteilung an. Da die Bediensteten der Regressabteilung keine Kenntnis von dem Schadensfall hatten und bei ihnen auch keine grob fahrlässige Unkenntnis vorlag, war die Annahme der Verjährung durch das Berufungsgericht fehlerhaft. Weiter führt der BGH aus, dass trotz der bestehenden, angeordneten Mitteilungs- und Informationspflichten bei Unfällen gegenüber der Regressabteilung, die im vorliegenden Fall weder durch den Geschädigten, seine Vorgesetzten, Dienststellenleiter (Polizeipräsidium) noch durch die Leistungsabteilung eingehalten wurden, die Regressabteilung eine Obliegenheit dahin gehend trifft, bei erkannten oder erkennbaren Mängeln in der Informationskette für Abhilfe zur Sicherung der eigenen Aufgaben zu sorgen. Jedoch sieht der Senat vorliegend keinen schweren Obliegenheitsverstoß und damit auch keine grobe Fahrlässigkeit der Bediensteten der Regressabteilung. Da auch eine Zurechnung des Wissens der Bediensteten der Leistungsabteilung wie auch der L. übergeordneten Polizeibehörden zulasten der Regressabteilung ausscheidet, hatte das Berufungsurteil keinen Bestand.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung innerhalb der öffentlichen Hand spielt in doch nicht wenigen Fällen eine – oft – entscheidende Rolle. Vorliegend kam und kommt es auf den Wissensstand der Regressabteilung – und nicht anderer befasster Stellen – für den Beginn des Laufs von Verjährungsfristen an. Für Hemmungstatbestände (Verjährung), insbesondere durch Klageerhebung (z.B. in Amtshaftungssachen) kommt es darauf an, dass diese der „vertretungsberechtigten Behörde“ zugestellt wird. Hier nun sind die ausgefeilten Vertretungsregelungen im Bund und in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen (vgl. Itzel/Schwall/Rohlfing, Verfahrens- und Prozessrecht, 2. Aufl., Rn. 134 f.). Wird an eine unzuständige Stelle zugestellt, tritt keine Hemmung ein, und der Anspruch ist dann unter Umständen verjährt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Behörden werden gehalten sein, ihre organisatorischen Maßnahmen, die die Kenntnis der Regressabteilung von Schadensfällen mit Ersatzforderungen der öffentlichen Hand sicherstellen sollen, daraufhin zu prüfen, ob diese auch bei individuellem Versagen den erforderlichen Informationsfluss gewährleisten können. Gegebenenfalls müssen hier redundante Mitteilungspflichten festgelegt werden. Für Rechtsanwälte und Gerichte wird weiterhin die konkrete und nach Zuständigkeiten segmentierte Behördenstruktur zu beachten sein, wobei die Rechtsprechung einer Zurechnung von Wissen, Kenntnissen (wie im vorliegenden Fall) und Rechtszuständigkeiten (z.B. bei Klagezustellung) zwischen einzelnen Behörden und Fachabteilungen wohl eher kritisch gegenübersteht.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Zu weiter gehenden organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung eines funktionierenden Informationsflusses war die Regressabteilung vorliegend wohl auch nicht verpflichtet. Ihre Unterrichtung bei/von Schadensfällen war eigentlich durch dienstliche Anweisungen auf drei Wegen sichergestellt. Sowohl die Leistungsabteilung wie auch die Dienststelle des betroffenen Beamten und auch dieser selbst waren zur entsprechenden Mitteilung verpflichtet. Vorliegend hatte wohl der Dienststellenleiter des geschädigten Beamten das entsprechende Textfeld auf dem entsprechenden Formular nicht angekreuzt. Dieser individuelle Fehler im „Polizeibereich“ könnte auch nach dem BGH der Annahme eines groben Obliegenheitsverstoßes durch Bedienstete der Regressabteilung entgegenstehen.



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