juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 12. Zivilsenat, Urteil vom 29.01.2025 - XII ZR 96/23
Autor:Prof. Dr. Ulf P. Börstinghaus, Weiterer aufsichtsführender RiAG a.D.
Erscheinungsdatum:16.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 546 BGB, § 548 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 8/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 8/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Verjährungsbeginn bei Entgegennahme des Schlüssels des Mietobjekts



Leitsätze

1. Der Rückerhalt der Mietsache i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt eine Änderung der Besitzverhältnisse zugunsten des Vermieters voraus, weil dieser erst durch die unmittelbare Sachherrschaft in die Lage versetzt wird, sich ungestört ein umfassendes Bild von etwaigen Veränderungen oder Verschlechterungen der Sache zu machen (im Anschluss an Senatsurt. v. 27.02.2019 - XII ZR 63/18 - NZM 2019, 408).
2. Für den Verjährungsbeginn ist der Rückerhalt der Mietsache auch dann maßgeblich, wenn der Mietvertrag noch nicht beendet ist mit der Folge, dass ein Anspruch i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits vor Beendigung des Mietverhältnisses verjähren kann (im Anschluss an BGH, Urt. v. 23.10.2013 - VIII ZR 402/12 - NZM 2014, 128).
3. Zum Rückerhalt der Mietsache bei Einwurf der Schlüssel in den Briefkasten des Vermieters (im Anschluss an BGH, Urt. v. 04.05.2005 - VIII ZR 93/04 - NZM 2005, 535).



A.
Problemstellung
Im Mietrecht gibt es eine Fülle von „Zeitfenstern“ (so die Formulierung von Artz „Zwischen morgen und dem Lebensende - Die Zeitfenster des Dauerschuldverhältnisses Miete“ in: Festschrift Börstinghaus, 2020, S. 1), zu denen auch die Verjährungsfrist gehört. Im Verjährungsrecht haben wir es mit dem „Scheinzwerg“ des § 548 Abs. 1 BGB zu tun. Die Frist von sechs Monaten erscheint auf den ersten Blick sehr kurz. Jedoch bei genauerer Betrachtung kann sie länger als nach allgemeinen Regeln sein (mehr als 30 Jahre: BGH, Urt. v. 31.08.2022 - VIII ZR 132/20 - NZM 2022, 908). Das liegt am eigenen besonderen Verjährungsbeginn. Erst mit Rückgabe der Mietsache und der damit verbundenen Überprüfungsmöglichkeit durch den Vermieter beginnt die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Verschlechterung der Mietsache. Und genau mit dieser Frage beschäftigt sich die hier zu besprechende Entscheidung. Die Parteien stritten über die Verjährung von möglichen Schadensersatzansprüchen aus einem gewerblichen Mietverhältnis.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Klägerin vermietete im Jahr 2009 der Beklagten eine Halle nebst Lagerbüro und außenliegenden Stellplätzen. Im Jahr 2012 wurden weitere Gewerbeflächen angemietet. Gleichzeitig vereinbarten die Vertragsparteien, dass sich das Mietverhältnis für die gesamten Flächen nach Ablauf des ersten Jahres ab Übergabe der weiteren Teilflächen jeweils um ein Jahr verlängert, falls es nicht von einer Vertragspartei unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten vor Ablauf der Mietzeit gekündigt wird.
Mit Schreiben vom 10.03.2020 erklärte die Beklagte die Kündigung des Mietverhältnisses „zum nächstmöglichen Zeitpunkt 17.06.2020“. Der Kläger wies darauf hin, dass das Mietverhältnis aufgrund der Kündigung deutlich später ende. In der Folgezeit nutzte die Beklagte das Mietobjekt bis zum 31.12.2020 weiter und warf an diesem Tag die Schlüssel in den Hausbriefkasten des Klägers. Mit Schreiben vom 07.01.2021 erklärte der Kläger, dass die Rückgabe der Schlüssel ausdrücklich gegen seinen Willen erfolgt und er nicht empfangsbereit sei. Im Juni 2021 forderte der Kläger die Beklagte schriftlich unter Androhung der Selbstvornahme auf, im Einzelnen benannte Mängel und Schäden an der Mietsache zu beseitigen. Nach Ablauf der im Schreiben gesetzten Frist verlangte er die Zahlung von Schadensersatz sowie die Begleichung rückständiger Mieten.
Der auf Antrag des Klägers vom 26.08.2021 wegen dieser Forderungen erlassene Mahnbescheid ist der Beklagten am 30.08.2021 zugestellt worden. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung rückständiger Mieten verurteilt und die Klage im Übrigen wegen Verjährung der Schadensersatzansprüche abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.
II. Auch die vom Senat zugelassene Revision blieb erfolglos. Die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen vertragswidrigen Zustands der Mieträume seien verjährt.
1. Das mietrechtliche Verjährungsregime
Gemäß § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB verjähren Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in sechs Monaten. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält. Rückerhalt der Mietsache im Sinne dieser Vorschrift setzt grundsätzlich eine Änderung der Besitzverhältnisse zugunsten des Vermieters voraus, weil dieser erst durch die unmittelbare Sachherrschaft in die Lage versetzt wird, sich ungestört ein umfassendes Bild von etwaigen Veränderungen oder Verschlechterungen der Sache zu machen und ggf. verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.08.2006 - 10 U 46/06 - NZM 2006, 866; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Börstinghaus, Miete, 7. Aufl., § 548 BGB Rn. 17 m.w.N.). Weiter ist für den Rückerhalt erforderlich, dass der Mieter den Besitz vollständig und unzweideutig aufgibt.
2. Der Rückerhalt der Mietsache
Der Rückerhalt i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt weder die Rückgabe der Mietsache i.S.d. § 546 Abs. 1 BGB noch die Beendigung des Mietverhältnisses voraus. Vielmehr ist der Rückerhalt der Mietsache auch dann für den Verjährungsbeginn maßgeblich, wenn der Mietvertrag noch nicht beendet ist. Das kann zur Folge haben, dass ein Anspruch i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits vor Beendigung des Mietverhältnisses verjähren kann. Dementsprechend hat der BGH ein Zurückerhalten i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht, wenn der Mieter nach Kündigung, aber vor Beendigung des Mietverhältnisses dem Vermieter bzw. dessen Bevollmächtigtem die Schlüssel zurückgibt.
a) Die Bedeutung des Schlüsseleinwurfs
Nach Ansicht des BGH wurde der Lauf der Verjährungsfrist im zu entscheidenden Fall durch Einwurf der Schlüssel in den Hausbriefkasten des Klägers in Gang gesetzt, weil dieser hierdurch die Mieträume zurückerhalten hat. Nach dem Einwurf der Schlüssel in den Briefkasten des Klägers ist die für einen Rückerhalt i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche Änderung der Besitzverhältnisse zugunsten des Klägers als Vermieter im Sinne eines Übergangs des unmittelbaren Besitzes jedenfalls im Zeitpunkt seiner Kenntnis von der vollständigen Besitzaufgabe der Beklagten und der eigenen Sachherrschaft eingetreten. Dass diese Änderung dem Kläger durch den Einwurf der Schlüssel in seinen Briefkasten aufgedrängt wurde, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die Beklagte hatte nach den tatrichterlichen Feststellungen keinen Zugang mehr zu den Mieträumen, während der Kläger ungehinderten Zugriff und damit die Möglichkeit der ungestörten Untersuchung erhalten hatte.
Die Erlangung des unmittelbaren Besitzes setzt zwar grundsätzlich einen Besitz(begründungs)willen voraus. Jedoch genügt hierfür der nach außen erkennbar gewordene generelle Besitz- oder Sachbeherrschungswille (vgl. Fritzsche in: BeckOK BGB, Stand: 01.11.2024, § 854 Rn. 25 m.w.N.). Dieser ist auch bei einer aufgedrängten Sachherrschaft grundsätzlich anzunehmen, wenn der Vermieter im (alleinigen) Besitz der Schlüssel ist und diese nicht etwa an den Mieter zurückgibt. Insbesondere ist der fehlende Rücknahmewille nicht ohne Weiteres dem fehlenden Besitzwillen gleichzusetzen. Denn dem Interesse des Vermieters entspricht es im Regelfall nicht, dass an der Mietsache kein unmittelbarer Besitz mehr besteht, also ein besitzloser Zustand eintritt.
b) Aufgedrängte Besitzerlangung
Nach Ansicht des Senats steht diesem Ergebnis auch nicht entgegen, dass der Vermieter nicht verpflichtet ist, die Mietsache jederzeit – sozusagen „auf Zuruf“ – zurückzunehmen. Denn hat der Vermieter die Mietsache tatsächlich i.S.d. § 548 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückerhalten, dann ist die Frage, ob er zur Rücknahme vor Ablauf der Mietzeit verpflichtet gewesen wäre, für den Verjährungsbeginn ohne Belang. Dem Vermieter entstehen in diesen Fällen auch keine unbilligen Nachteile. Vielmehr wird eine rasche Auseinandersetzung zwischen den Parteien des Mietvertrags gewährleistet, eine beschleunigte Klarstellung der Ansprüche wegen des Zustands der überlassenen Sache bei Rückgabe erreicht und damit dem Gesetzeszweck Rechnung getragen. Durch den Rückerhalt der Mietsache beginnt zwar Verjährung und der Vermieter wird damit zur Vermeidung der Verjährung bestehender Schadensersatzansprüche gezwungen, zeitnah verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen. Der Rückerhalt lässt aber weder etwaige Mietzahlungsansprüche entfallen noch schließt er Schadensersatzansprüche des Vermieters wegen Pflichtwidrigkeiten des Mieters vor Ende der Mietzeit aus.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung wiederholt die bisherige Rechtsprechung beider Mietsenate des BGH zum Verjährungsbeginn hinsichtlich der kurzen mietrechtlichen Verjährungsfrist. Ausgehend vom Gesetzeszweck kommt es entscheidend auf die Veränderung der Besitzsituation an. Der Mieter muss seinen Besitz aufgeben, und der Vermieter muss den Besitz (zurück)erlangen. Ein ganz wichtiges Ereignis in diesem Zusammenhang ist die Schlüsselübergabe. Ohne den Schlüssel hat der Mieter keinen Zugang mehr zum Objekt, also hat er faktisch schon keinen Besitz mehr und zeigt im Übrigen durch die Übergabe auch, dass er keinen Besitzwillen mehr hat. Schwieriger ist die Bedeutung der Entgegennahme des Schlüssels auf Vermieterseite. Geklärt ist, dass der Vermieter nicht verpflichtet ist, die Mietsache jederzeit – sozusagen „auf Zuruf“ – zurückzunehmen, etwa wenn der Mieter kurzfristig auszieht und ihm den Schlüssel sofort aushändigen will und diesen nach gescheiterter Übergabe in den Briefkasten des Mietobjekts einwirft.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Offengeblieben ist weiterhin die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage unter welchen Voraussetzungen der Lauf der Verjährungsfrist nach § 548 Abs. 1 BGB beginnt, wenn der Mieter dem Vermieter anbietet, die Mietsache zurückzuerhalten, dieser sie jedoch nicht zurücknimmt. Dies gilt auch für die Frage, ob der Mieter vor Beendigung des Mietverhältnisses zur Rückgabe der Mietsache berechtigt bzw. der Vermieter zur Rücknahme verpflichtet ist. Auf diese Streitfragen kommt es aber immer dann nicht an, wenn der Vermieter den Schlüssel annimmt. Eine irgendwie geartete Schutzbedürftigkeit ist in diesem Fall nicht gegeben. Er kann alles tun, um den Zustand zu ermitteln und verjährungshemmende Maßnahmen einzuleiten.



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