Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 37 Abs. 4 BetrVG bei der BetriebsratsvergütungLeitsätze 1. Die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 37 Abs. 4 BetrVG für die Bildung einer Vergleichsgruppe und die betriebsübliche berufliche Entwicklung der an sich vergleichbaren Arbeitnehmer trägt das Betriebsratsmitglied (BAG v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20). 2. Hat der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied die Entscheidung über eine Höhergruppierung durch eine von ihm eingesetzte Kommission mitgeteilt, genügt das Betriebsratsmitglied im Falle einer Herabstufung durch den Arbeitgeber seiner Darlegungslast, indem er auf diese Mitteilung - und deren jahrelange Umsetzung - verweist. Der Arbeitgeber hat sodann im Wege seiner abgestuften Darlegungslast darzulegen, auf welchen Erwägungen die Entscheidung der Kommission beruhte, um dem Betriebsratsmitglied die Möglichkeit zu geben, seiner weiteren Darlegungslast nachzukommen und die Richtigkeit der Vergütungserhöhung darzulegen. - A.
Problemstellung Nach der Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) überprüften viele Unternehmen die Vergütung ihrer Betriebsratsmitglieder und nahmen Anpassungen vor, wenn das gezahlte Entgelt nicht den gesetzlichen Vorgaben aus § 37 BetrVG und § 78 Satz 2 BetrVG entsprach. Nicht selten sehen sich die Arbeitsvertragsparteien nach einer solchen Vergütungsanpassung vor den Arbeitsgerichten wieder. Sei es, weil der Arbeitgeber – wie in der hiesig besprochenen Entscheidung – feststellen lassen möchte, dass die von ihm im Rahmen der Überprüfung ermittelte Vergütung zutreffend ist, oder weil sich das Betriebsratsmitglied gegen eine Verringerung selbiger gerichtlich zur Wehr setzt. Nicht selten kommt es in solchen Verfahren entscheidend darauf an, welche Partei die Darlegungs- und Beweislast trifft. Dies gilt insbesondere dann, wenn die entscheidenden Sachverhalte weit in der Vergangenheit liegen. Das Urteil des LArbG Hannover reiht sich ein in eine Riege von Entscheidungen, die in jüngster Vergangenheit zu Fragen der Darlegungs- und Beweislast in Zusammenhang mit der korrekten Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ergangen sind. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG trifft nach Auffassung des LArbG Hannover das Betriebsratsmitglied die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 BetrVG. Allerdings genüge das Betriebsratsmitglied im Falle einer Herabstufung durch den Arbeitgeber seiner Darlegungslast, wenn es auf eine Vergütungsmitteilung des Arbeitgebers und deren jahrelange Umsetzung verweise. Sodann habe der Arbeitgeber darzulegen, welche Erwägungen der Vergütungsentscheidung zu Grunde lagen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Beim Arbeitgeber war eine unternehmensinterne Kommission eingerichtet, die die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern auf Grundlage des tarifvertraglichen Vergütungssystems regelmäßig überprüfte. Im Jahr 2010 kontrollierte die Kommission die Vergütung des betroffenen Betriebsratsmitglieds, das zu diesem Zeitpunkt – seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2002 – eine Vergütung nach EG 11 erhielt. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, das betroffene Betriebsratsmitglied sei entsprechend der tariflichen EG 14 zu vergüten. Eine Begründung dieser Entscheidung liegt nicht vor und ließ sich im Nachgang auch nicht mehr ermitteln. Über das Ergebnis ihrer Prüfung informierte die Kommission das Betriebsratsmitglied. Im Jahr 2013 kam es aufgrund einer erfolgreichen Wahlanfechtung zu einer etwa dreimonatigen betriebsratslosen Zeit und in der Konsequenz zu einer Unterbrechung der Betriebsratsmitgliedschaft. Während dieser Zeit vergütete der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied unverändert nach EG 14. Nach dessen Wiederwahl im September 2013 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied mit, die Kommission Betriebsratsvergütung sei (weiterhin) der Auffassung, seine Vergütung sei auf Grundlage der EG 14 zu bestimmen. Im Jahr 2023 erfolgte sodann eine Überprüfung der Vergütung durch den Arbeitgeber. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass ein Entgelt nach EG 13 und nicht – wie bislang nach EG 14 – den gesetzlichen Vorgaben entspräche. Das Ergebnis teilte der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied mit, behielt die aus seiner Sicht zu viel gezahlte Vergütung unter Berücksichtigung einer dreimonatigen Ausschlussfrist ein und stufte das Betriebsratsmitglied in EG 13 ein. Der Arbeitgeber beantragte beim ArbG Hannover festzustellen, dass das Betriebsratsmitglied nach EG 13 zu vergüten sei. Das Betriebsratsmitglied machte im Wege der Widerklage die Rückzahlung der einbehaltenen Vergütung geltend und begehrte seinerseits die Feststellung, dass eine Vergütung nach EG 14 erfolgen müsse. Es vertrat die Auffassung, es habe auf die Entgeltmitteilungen aus den Jahren 2010 und 2013 und die jahrelange entsprechende Vergütung vertrauen dürfen. Der Arbeitgeber sei zudem seiner Darlegungs- und Beweislast entsprechend den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung nicht nachgekommen (vgl. dazu: LArbG Hannover, Urt. v. 27.06.2024 - 5 Sa 672/23, dazu: Bissels/Pitzer, jurisPR-ArbR 40/2024 Anm. 4). Das ArbG Hannover wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Das LArbG Hannover hat diese Entscheidung bestätigt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Darlegungs- und Beweislast für einen Anspruch aus § 37 Abs. 4 BetrVG grundsätzlich das Betriebsratsmitglied treffe. Allerdings dürften Darlegungsprobleme die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen nicht beeinträchtigen, indem sie die prozessuale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in unzumutbarer Weise erschweren. Es gelte daher eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Das Betriebsratsmitglied habe durch den Verweis auf die ihm seit 01.01.2010 gezahlte Vergütung nach EG 14 und die entsprechenden Mitteilungen seiner Darlegungslast zunächst genügt. Der Arbeitgeber könne sich hingegen nicht erfolgreich auf die Fehlerhaftigkeit der Vergütung nach EG 14 berufen. Zwar trage er nach den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung nicht die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der bisherigen Bewertung der Tätigkeit. Allerdings hätte er darlegen müssen, auf welchen Überlegungen zu welchen vergleichbaren Arbeitnehmern und deren damaliger beruflicher betriebsüblicher Entwicklung die Entscheidung der Kommission Betriebsratsvergütung basierte. Dass sich diese Umstände nicht mehr ermitteln ließen, könne nicht dem Betriebsratsmitglied angelastet werden. Es habe für dieses keinerlei Anlass bestanden, an der Richtigkeit der Vergütung nach EG 14 zu zweifeln und vorsorglich Anhaltspunkte dafür zu sammeln, dass die Vergütung, die ihm fast 14 Jahre gezahlt worden sei, gerechtfertigt sei.
- C.
Kontext der Entscheidung Nach dem Urteil des BGH vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) häufen sich arbeitsgerichtliche Streitigkeiten zu Fragen der richtigen Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, weil viele Unternehmen die Vergütung ihrer Betriebsratsmitglieder als Konsequenz dieser Entscheidung überprüft und – je nach Ergebnis – angepasst haben. Da den streitgegenständlichen Sachverhalten nicht selten langjährige Amtszeiten der betroffenen Betriebsratsmitglieder zugrunde liegen, spielt die Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast oftmals eine entscheidende Rolle in den Verfahren. Anders als noch die 5. Kammer des LArbG Hannover (Urt. v. 27.06.2024 - 5 Sa 672/23, dazu: Bissels/Pitzer, jurisPR-ArbR 40/2024 Anm. 4) lehnte die 9. Kammer zutreffend die Übertragung der Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung auf Vergütungsanpassungen im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG ab. Es liegt in solchen Konstellationen gerade kein Bewertungs- und Zuordnungsvorgang vor, weil der Arbeitgeber die Tätigkeit des Arbeitnehmers keiner Entgeltordnung zuordnet. Dies entspricht der Linie des BAG (Urt. v. 20.03.2025 - 7 AZR 46/24), das die Anwendung der Grundätze der korrigierenden Rückgruppierung auf Fallkonstellationen des § 37 Abs. 4 BetrVG ebenfalls ablehnt. Allerdings genügt das Betriebsratsmitglied der ihm obliegenden Beweislast nach Auffassung des LArbG Hannover schon dann, wenn es auf eine jahrelange Vergütungspraxis und eine Mitteilung des Arbeitgebers zur Entgelthöhe verweist. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn aus Sicht des Betriebsratsmitglieds keinerlei Anhaltspunkte für die Unzulässigkeit der gezahlten Vergütung vorgelegen haben. Damit nähert sich die 9. Kammer des LArbG Hannover einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung der 8. Kammer des LArbG Hannover an, die die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast davon abhängig macht, ob das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der bisherigen Entgeltgruppe vergütet zu werden (LArbG Hannover, Urt. v. 13.11.2024 - 8 Sa 685/23). Inwieweit es bei derartigen Konstellationen der Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bedarf, wird wohl vom BAG zu klären sein – in allen drei o.g. Verfahren, die von dem LArbG Hannover entschieden worden sind, ist die Revision anhängig (Az. 7 AZR 179/24, 7 AZR 296/24, 7 AZR 16/25). Zwingend scheint dies jedenfalls nicht, denn beruft sich eine Partei auf die Nichtigkeit einer Vergütungsabrede, obliegt ihr die Darlegungs- und Beweislast dafür (BAG, Urt. v. 29.08.2018 - 7 AZR 206/17). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung nach § 37 Abs. 4 BetrVG korrigiert (BAG, Urt. v. 20.03.2025 - 7 AZR 46/24). Die Frage, ob eine Vereinbarung gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG verstößt, ist zudem vom Gericht und ohne Rüge einer Partei von Amts wegen zu prüfen (BAG, Urt. v. 08.11.2017 - 5 AZR 11/17). Lässt die Überprüfung erkennen, dass die Vergütungsvereinbarung nichtig ist, obliegt es sodann dem Betriebsratsmitglied, die Voraussetzungen eines höheren Vergütungsanspruchs zu beweisen. Schon bei Anwendung dieser Grundsätze hätte das LArbG Hannover die Feststellungsklage des Arbeitgebers abweisen müssen, weil es ihm ausweislich der Entscheidungsgründe nicht gelungen war, die Unzulässigkeit der Vergütung nach EG 14 darzulegen, da eine Begründung für die Entscheidung der Kommission nicht mehr zu ermitteln und der Sachvortrag zur Vergleichsgruppe lückenhaft war. Jedenfalls konnte der Arbeitgeber nicht darlegen, welche Vergleichspersonen seit der Vergütungsanpassung in EG 14 aus der Vergleichsgruppe ausgeschieden waren und welche Vergütungsentwicklung sich bei Berücksichtigung dieser zum Zeitpunkt der Vergütungsanpassung ergeben hätte.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung zeigt einmal mehr, wie wichtig eine sorgfältige Dokumentation im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG ist, um im Streitfall in der Vergangenheit getroffene Vergütungsentscheidungen nachzuvollziehen. Dies zeigt die hiesig besprochene Entscheidung eindrucksvoll. Vorliegend war es dem Arbeitgeber nämlich nicht gelungen, die Gründe für die damalige Vergütungsentscheidung zu ermitteln und vollständig zur Vergleichsgruppe und deren Entwicklung vorzutragen. Gerade bei langjährig tätigen Betriebsratsmitgliedern ergeben sich in der Praxis häufig Schwierigkeiten, weit in der Vergangenheit liegende Sachverhalte in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären. Hier kann eine gute und lückenlose Dokumentation letztlich streitentscheidend sein.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Eher am Rande streift das LArbG Hannover zwei Aspekte, die neben der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Praxis von Bedeutung sein können. Zum einen lehnt es eine Rückentwicklung der Vergütung im Anwendungsbereich des § 37 Abs. 4 BetrVG ab, wenn sich aufgrund einer späteren Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer eine geringere Vergütung ergebe. Relevant kann dieser Punkt insbesondere bei Ausscheiden von Vergleichspersonen werden, wenn dies Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse in der Vergleichsgruppe hat. Zum anderen scheint das LArbG Hannover eine jedenfalls kurzzeitige Unterbrechung der Amtstätigkeit als sachlichen Grund für eine Neubildung der Vergleichsgruppe abzulehnen.
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